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Dienstag, 7. Juli 2015

Thema des Monats: Wer will die Panoramafreiheit abschaffen?

„Es droht die Gefahr, dass selbst Touristen verboten werden kann, Fotos vom Eiffelturm zu machen und über Social Media zu verbreiten“ – so und ähnlich lauten angstmachende Aussagen in der aktuellen Medienlandschaft bis hin zu öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten. Was stimmt? Und wie ist die Faktenlage?

Die Situation:
Die Europäische Kommission plant für die nächsten Monate, das Urheberrecht zu harmonisieren und für das digitale Zeitalter zu aktualisieren. Zur Vorbereitung – und, um die Wünsche der EU-Parlamentarier zusammen zu tragen, hat das Parlament einen Bericht mit über 500 Vorschlägen und Ideen zu einer europaweiten Harmonisierung des Urheberrechts gesammelt, von der deutschen Piratin Julia Reda zusammengefasst und diskutiert. Dieser Bericht wird nächste Woche abgestimmt, um nach Annahme der EU-Kommission als Empfehlung überreicht zu werden.

Bei der Abstimmung zu diesem Bericht setzte sich im Gremium der liberale Abgeordnete Jean-Marie Cavada aus Frankreich mit dem Vorschlag durch, die Panoramafreiheit abzuschaffen. Dieser Vorschlag (und das Erstaunen vieler Abgeordneter, dass er auch aufgenommen wurde und eben nicht die Vorschläge, diese Freiheit auf ganz Europa auszudehnen) löste die aktuelle Diskussion aus, Online-Petitionen wurden ins Leben gerufen und so rückt das Thema in die breite Öffentlichkeit und in der Darstellung in den Medien sieht es oft schon so aus, als ob die Abschaffung der Panoramafreiheit bereits beschlossene Sache wäre. Dem ist aber nicht so.

Nach unseren Recherchen wird eine breite Mehrheit der Abgeordneten im Splitted Voting zwar den Bericht absegnen, nicht aber diesen speziellen Vorschlag. So kann der Bericht auch ohne einen Vorschlag zur Europäisierung der Panoramafreiheit an die EU-Kommission übergeben werden. Es handelt sich „nur“ um einen Bericht an die Kommission und nicht um ein fertiges Gesetz, geschweige denn um einen Gesetzes-Entwurf. Wir werden auch im Privaten morgen noch den Reichstag fotografieren dürfen, ohne Sir Norman Foster, den Architekten der neuen Glaskuppel, um Genehmigung zu bitten.

Hintergrund zur Panoramafreiheit:
Die Panoramafreiheit ist eine so genannte Schranke des Urheberrechts. Was ist das?
Das Urheberrecht schützt Werke und deren Autoren vor unerlaubten Kopien, schafft die Rechtsgrundlage zur Honorierung von Kunst, schützt Werke vor Zerstörung oder Verfremdung und sorgt dafür, dass der Künstler mit dem Werk verbunden bleibt, indem er in der Nähe des Werkes genannt werden muss.

Es gibt reichlich Situationen, in denen Privatpersonen, aber auch Institutionen, Medien und Unternehmen in ihrem Alltag die Grenzen des Urheberschutzes übertreten müssen. Die Presse und Andere müssen zitieren dürfen, deshalb wurde das Zitatrecht als Schranke / Einschränkung des Urheberrechts eingeführt. Das Presserecht selbst schränkt im Namen der unabhängigen Berichterstattung sowohl das Urheber-, als auch das Persönlichkeitsrecht ein und Schulbücher sind zum Beispiel laut Lehrplan verpflichtet, über Menschen und Themen zu schreiben, die laut Urheberrecht der Wiedergabe / Kopie ihres Werkes zustimmen müssten. Stellen Sie sich vor, die Erben von Picasso wollten nicht, dass seine Werke nicht mehr im Kunstunterricht gezeigt werden dürften. Laut Urheberrecht könnten Sie das verbieten, aber dank des Schulbuchparagrafen ist dies wieder eingeschränkt.

Die Panoramafreiheit ist eine weitere und wichtige Schranke des Urheberrechts. Nach deutschem Recht lässt sie sich so formulieren: Wer auf öffentlichem Boden steht, darf von dort aus fotografieren, ohne

a) die Urheber der von dort aus sichtbaren Kunstwerke, Fassaden etc um Genehmigung zu bitten,
b) zu honorieren,
c) ihren Namen nennen zu müssen,
d) Bildmanipulationen und Veränderungen genehmigen zu lassen, egal ob die Bilder
e) kommerziell oder privat genutzt werden.

Die Werke – Architektur und Kunst im Raum ist hier das Wichtigste, aber auch Firmenlogos an Fassaden, müssen allerdings für unbestimmte Zeit installiert sein – deshalb konnte Christo den nur für zwei Monate verhüllten Reichstag kostenlos zeigen und am Verkauf der Bilder, Bücher etc über entsprechende Lizenzvergaben verdienen. Der in diesem Rahmen viel zitierte Eiffelturm darf auch nach deutscher Panoramafreiheit nicht dann nachts fotografiert werden, wenn er von einer Lichtinstallation geschmückt ist, die a) künstlerisch geschützt und b) nur zeitweilig im Raum ist. Und bei Tag? Die Societé de la Tour Eiffel verbietet zum Beispiel den Einsatz des Turms in Zigarettenwerbung. Aber auf Grundlage des Urheberrechts? Das würde hier nicht klappen, denn Gustav Eiffel ist 1923 gestorben und der Schutz seiner Werke läuft 70 Jahre danach aus. Hier greifen dann aber Marken- und Eigentumsrechte. In Deutschland dürfen Zigaretten mit dem Eiffelturm werben und sie tun es auch.

Perspektive
Nochmals: aktuell geben die Abgeordneten über den erwähnten Bericht Empfehlungen an die Kommission weiter. Es gibt noch keinen Gesetzentwurf und die Panoramafreiheit besteht weiterhin. Der Bericht wird erst am kommenden Donnerstag, dem 9. Juli abgesegnet, hoffentlich schlicht ohne den Passus zur Panoramafreiheit

Der Abgeordnete Jean-Marie Cavada möchte nicht der EU-Kommission vorschlagen, die Panoramafreiheit abzuschaffen, sondern „nur“ die kommerziellen Zwecke verbieten. Touristen sollten immer noch ihre Selfies vor dem Reichstag machen. Das war nicht sein Problem. Allerdings ist die Formulierung „zu kommerziellen Zwecken“ eindeutig zu pauschal – und auch für alle weiteren Parteien und Gruppen im EU-Parlament noch einen Blick wert. Denn der aktuelle Vorschlag zum Beispiel der Sozialdemokraten, die Länderrechte in diesem Punkt nicht ändern zu wollen, wäre ebenfalls kein Fortschritt. In Frankreich und Italien gibt es keine Panoramafreiheit, hier sehen wir Aufholbedarf.

Der Wunsch, zwischen privaten und kommerziellen Zwecken zu trennen, hört sich gut an, ist aber zu grobschlächtig. Anfangen könnte der Kommerz bei einem privaten Blog, auf dem der Besitzer z.B. Google AdWords Werbung zeigen lässt, um zumindest die Serverkosten wieder rein zu bekommen. Oder der Busunternehmer, der die Kolping-Reise nach Prag anbieten will. Was meinte Cavada? In einem TV-Interview wies er darauf hin, dass jeder Diebstahl, egal ob Auto oder geheime Daten, bestraft wird – nicht aber das „schamlose Kopieren der Kunstwerke anderer“, was er als Diebstahl versteht. Vielleicht verwechselt er hier die alte und die neue Bedeutung des Urheberrechts: Das Anfertigen einer Kopie ist genehmigungspflichtig. Das betrifft natürlich das Abmalen (= Fälschen) von Bildern, das unlizensierte Nachbauen des Barcelona Chairs, und sicher auch den Ideen-Klau unter Architekten. Mit seiner Aussage kriminalisiert Cavada jeden Reiseanbieter, der Reisen in ferne Länder bewirbt und jedes Unternehmen, das seinen Firmensitz zeigen möchte, auch wenn ein schickes Bauwerk direkt daneben zu sehen ist.

Empfehlung
Wir empfehlen, hier den Begriff der Rufausbeutung in Betracht zu ziehen. Das Markenrecht untersagt es dem Whiskey-Hersteller, seine Flasche einfach auf einen Rolls Royce zu stellen und das Bild mit einer Aussage über den großen Stil beider zu werben – hier müsste die Edelmarke erst um Erlaubnis gefragt werden. Wenn ich aber mit einem Bild von einem Autobahnstau das Thema Verkehrslenkung illustrieren möchte, muss nicht jede Automarke geklärt werden, denn der Bildnutzer macht sich nicht den Wert der gezeigten Marken zu eigen. Ein Reiseanbieter sollte auch weiterhin seine Reisen mit Stadtansichten garnieren dürfen. Ein Modeshooting, das direkt vor einem passenden, nagelneuen Bau eines Star-Architekten auf dem Bürgersteig veranstaltet wird, nur um eine Genehmigungsschleife mit dem Architekten zu vermeiden, das wäre dann an der äußersten Spanne der „kommerziellen Nutzungsarten“ und im Vergleich zum privaten Blog mit Google AdWords sicherlich rufausbeutend.

Der Aspekt der Rufausbeutung sollte grundsätzlich beim Wiedergeben von Kunstwerken herangezogen werden, nicht nur bei Gebäuden. Hierzu ein plastisches Beispiel: Das Foto des Firmenchefs. Die Rolex am Handgelenk unterliegt dem Markenrecht und muss nicht genehmigt werden, da die Markenrechte an diesem einen Artikel bei Kauf an den Käufer übergehen. Sitzt der Chef auf einem – seinem! - Barcelona Chair, gilt nicht Marken-, sondern Urheberrecht, weshalb er jetzt Mies van der Rohe bzw sein Lizenznehmer, die Kroll Inc in den USA, um Genehmigung zur Verbreitung dieses Fotos bitten müsste. Dieses Paradoxon stößt bei vielen Teilnehmern unserer Seminare auf Unverständnis – mit gutem Grund, wie wir finden.

Tipps & Tricks: Intensivseminar mit musikalischem Rahmenprogramm

Was für eine glückliche Fügung. Die haben das Reeperbahnfestival exakt in die Woche gelegt, in der wir in Hamburg das Intensivseminar Bildbeschaffung veranstalten. Die Idee hätte ja von uns sein können! So können Sie sich, eingebettet in ein wahrhaft illustres Rahmenprogramm, das Grundwesen professioneller Bildbeschaffung erarbeiten.

Illuster ist aber nicht nur das Reeperbahnfestival als freiwilliges Abendprogramm (immerhin mehr als 400 Konzerte an vier Tagen) rund um den Hamburger Kiez. Illuster sind auch die Referenten des zweitägigen Intensivseminars. Der Medienrechtsanwalt Dr. Dirk Wieddekind macht gemeinsam mit dem Bildbeschaffer Alex Karst am 24. September den Auftakt, führt in die Grundlagen der Bildrechte, Lizenzen und Verträge ein und diskutiert mit dem Praktiker der Bildbeschaffer, was Recht ist und wie Sie rechtlich sauber arbeiten können. Tag 2 wartet dann mit insgesamt drei Workshop-Modulen auf, aus denen Sie sich zwei auswählen können: Datenverwaltung (Referentin Petra Reimann), Bildsprache & Briefing (Referentin Patrizia Mosca) und Agenturauswahl (Referent: Alex Karst).

Ein geballtes Programm für Profis, die sich im Umgang mit Bildern sicherer fühlen wollen. Und besonders geeignet für die, die sich im Anschluss an den Seminartag bei einem kühlen Bier die Reeperbahn mit all ihren bunten Locations und zahlreichen Acts aus aller Welt erschließen wollen.

Hier finden Sie den detaillierten Themenplan!