Es kam einiges zusammen in den letzten Wochen. Nach unserem
Artikel über das Downsche Kind, das ungefragt für die Werbung für einen Schwangerschaftstest Model stand, kamen uns weitere Beispiele ins Blickfeld wie der Fall der New Yorkerin Avril Nolan, die vor Jahren für ein Editorial-Thema der PR Agentur posierte, in der sie arbeitete.
Dieses Bild fand den Weg zu Getty Images und von dort zur staatlichen Menschenrechts-Abteilung – und die zeigt nun die junge Frau auf einer Anzeige für die Rechte von kranken Menschen: „Ich habe HIV und ich habe meine Rechte!“ Ein vielleicht stolzer Claim – wenn er stimmt. Aber auf dem Weg zur Bildagentur änderte sich „irgendwie“ der Status des Model-Release von „liegt nicht vor“ auf „Ja“. Schlimm genug – aber schlimmer, dass die Verantwortlichen für diese Anzeige nicht auf die Idee kamen, sich beim Model rück zu versichern. Die Bildagentur wurde zu einer Strafe von $ 450.000 verurteilt und danach wurde die Behörde, also der eigentliche Bildnutzer, auch noch verklagt. In Deutschland würde sicher niemand auf die Idee kommen, den Fotografen oder die Bildagentur für solch eine Anzeige zu verklagen, sondern sich direkt an den Bildnutzer wenden. Bei US-amerikanischen Models und Bildern kann also ein Problemfall deutlich teurer werden. Eine Kollektion, die naturgemäß häufig mit diesem Thema zu tun hat, ist doc-stock, die lizenzpflichtigen und lizenzfreien Bildern rund um das Thema Medizin liefert und über F1online in Frankfurt erhältlich ist. Die Geschäftsführerin Sabine Pallaske betont, dass Bilder und Models aus den USA besonders behandelt werden: „Bei amerikanischen Anbietern fragen wir in jedem Fall nach, wenn es um Medikamente, medizinische Hilfsmittel oder Krankheiten geht. Bei europäischen Anbietern richten wir uns nach Schwere der Krankheit und eventuelle sozialen Vorbehalten (Alkoholismus, Drogensucht HIV) und dem inhaltlichen, redaktionellem oder textlichem Umfeld“. Bedeutet dies, dass eigentlich jedes Bild in der Pharmawerbung angefragt werden sollte? Wir haben ein paar Motiv-Ideen bei unterschiedlichen Bildagenturen abgefragt, um die Schmerzgrenze erfahren zu können.
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Foto: Die Bildbeschaffer |
Auch wenn hier dieses Motiv eventuell übertrieben häufig gezeigt wird - hier geht es um Blutdruck-Messgeräte und diesem Microstock-Pärchen wird keine Aussage in den Mund gelegt. Eine US-amerikanische Agentur habe laut doc-stock beim Thema Kalzium-Tabletten bereits den Hinweis verlangt: "Motiv mit Model nachgestellt". Nach Sabine Pallaske sollte man sich hier besser an europäische Agenturen halten. Fotolia könnte hier ein Problem sehen, wenn die Models eine fiktive Identität bekämen oder einen Erfahrungsbericht abzugeben scheinen und in solchen Fällen auch diesen Hinweis "Nachgestellte Szene" verlangen.
Gehen wir hier noch in die Tiefe. Diesem Paar werden keine (fiktiven) Namen gegeben und es wird keine Headline eingesetzt, die diese beiden Personen eine Aussage in den Mund legt, es wird auch nicht definiert, ob diese Personen das Produkt benutzen.
Für die meisten anderen Bildagenturen wäre dieses Motiv - wie auch das nächste - kein Problem, da hier kein problematischer Zusammenhang zu erkennen ist. Allerdings legt das folgende Beispiel nahe, dass die beiden Personen Mitarbeiter des Hauses seien:
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Foto: Die Bildbeschaffer |
Wieder zwei Microstock-Models. Dem einen wird ein Spruch in den Mund gelegt und der andere steht neben einer langen Liste "seiner" möglichen Berufsfelder - von kosmetischer Chirurgie bis Osteopathie. Hier wäre doch sicher ein Shooting "echter Mitarbeiter" ratsam und der Einsatz eines Fotolia-Bildes fraglic, da hier eine fiktive Identität nahegelegt wird.
Ein weiteres Beispiel: die klassische Beratungs-Situation Arzt & Patient. Im Beratungsgespräch kann Vorsorge das Thema sein - dann ist nicht eindeutig, dass der "Patient" bereits an einer Krankheit leide, insofern liegt keine diffamierende Nutzung vor. Der Zusammenhang "Beratung vor der Behandlung" legt dem Model schon eher nahe, dass es bereits krank sei. Die Grenze zwischen problematischen und unproblematischen Nutzungen wird also eher durch den Kontext gesetzt - was "lege ich dem Model in den Mund"? Und da ist das Bauchgefühl gefragt. Wie würden Sie entscheiden, wenn Sie selbst das Model wären?
Kommen wir jetzt zu den Beispielen der angeblich HIV-positiven New Yorkerin und des downschen Kindes, das (indirekt) als unerwünschtes Kind darstellen lässt: Da sträubten sich unseren Ansprechpartnern bei Corbis, doc-stock, Fotolia, Gallerystock und Getty die Haare - chronische Krankheiten, stigmatisierende Zusammenhänge sind für viele ein absolutes No-Go. Einige Agenturen hätten sich bei dem HIV-Motiv eventuell überreden lassen, das Model zumindest anzufragen und um Genehmigung zu bitten, aber nicht die Eltern eines Downschen Kindes, selbst wenn sie für die Tochter die Freigabe für ein kommerzielles Shooting gegeben hätten. Agenturen wie Colourbox und Shutterstock halten sich hier mit Einschränkungen zurück. Für die Rechtsabteilung bei Shutterstock wären Themen wie Pädophilie ein Beispiel für die Grenze des Möglichen und Colourbox lehnte die Nutzung eines Aktfotos auf einer Dating-Site ab. Hier liegt also die Verantwortung sowohl beim Model (wer ein Model Release unterschreibt, erklärt sich einverstanden mit der werblichen Nutzung), als auch beim Bildnutzer. Bildagenturen übernehmen keine Verantwortung für den Kontext, in dem die Bilder eingesetzt werden. Deshalb werden diffamierende, verleumderische und ähnliche Zusammenhänge in den Lizenzbedingungen ausgeschlossen - der Einzelfall, und damit die Schmerzgrenze - wird nicht schriftlich formuliert. Das ist nachvollziehbar - allein schon wegen der unterschiedlichen Behandlung dieser Fälle vor US-amerikanischen und europäischen Gerichten.
Fazit: Bildagenturen interpretieren ihre Rolle unterschiedlich - es lässt sich keine allgemeine Aussage treffen. Die klassischen Agenturen sehen sich noch als Berater der Kunden und raten von problematischen Bildern und Zusammenhängen ab, um Ihre Kunden und Models zu schützen. Microstocks und Agenturen, die nicht im persönlichen Kontakt mit dem Kunden stehen (Online-Portale) ziehen sich eher aus der Verantwortung zurück und verlangen im Kleingedruckten den Vermerk, dass es sich um ein Model handelt. Zu Risiken und Nebenwirkungen befragen Sie also am Besten Ihr Bauchgefühl und uns.
Abschließend noch die Frage nach der Verschlagwortung der Bilder:
Darf ein Bild, das mit Stichworten wie "schwules Paar", "AIDS"
oder Themen wie Botox oder Lernbehinderung gefunden werden kann, auch
in diesen Zusammenhängen gezeigt werden? Und auch hier ein ähnliches Bild: die klassischen Agenturen setzen die Stichworte nur dann, wenn die Zusammenhänge von den Models genehmigt sind. Nur der Einsatz "als Testimonial" ist überall schwierig und sollte geprüft werden! Und die "Älteren" nehmen auch ihre Verschlagwortung ernst und achten vor allem auch auf korrekte Übersetzungen. Die Portale und Microstocks arbeiten eher mit Google-Übersetzungen und sind deshalb nicht sehr verlässlich. Beispiel Shutterstock: Der Arzt wird auch als Tierarzt übersetzt und die erste Hälfte des Begriffes "plastic surgery" wird im Deutschen auch mit "Plastikgeld" übersetzt.